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Psychosoziale Prozessbegleitung

Allgemeines

Mit dem 3. Opferrechtsreformgesetz wurde auch das Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG) beschlossen. In diesem Gesetz werden die bundeseinheitlichen Grundsätze zur psychosozialen Prozessbegleitung, die Anforderungen an die Qualifikation der psychosozialen Prozessbegleiter oder Prozessbegleiterinnen sowie die Vergütung der Tätigkeit geregelt. Die praktische Umsetzung der psychosozialen Prozessbegleitung in Sachsen-Anhalt wird durch das „Ausführungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt zum Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren“ (AGPsychPbG LSA) bestimmt.

Psychosoziale Prozessbegleitung ist eine intensive Form der Begleitung für besonders schutzbedürftige Verletzte von Straftaten vor, während und nach der Hauptverhandlung. Sie umfasst die qualifizierte Betreuung, Informationsvermittlung und Unterstützung im Strafverfahren mit dem Ziel, die individuelle Belastung der verletzten Zeugin oder des verletzten Zeugen zu reduzieren, eine Sekundärviktimisierung weitestgehend zu vermeiden und die Aussagetüchtigkeit als Zeugin und Zeuge zu fördern. Über diesen Link finden Sie die Qualitätsstandards für die Psychosoziale Prozessbegleitung.

Die psychosoziale Prozessbegleitung bildet eine Schnittstelle zu den sonstigen Akteuren im Strafverfahren und ergänzt die bestehenden Angebote der staatlichen und freien Opferhilfeeinrichtungen sowie der Zeugenbetreuung im Land Sachsen-Anhalt. Sie übernimmt dabei nicht die Aufgaben anderer Professionen, insbesondere nicht die

  • juristische Beistandschaft und Verfahrensvertretung sowie der Rechtsberatung.
    Im Gegensatz zur rechtlichen Vertretung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt setzt die psychosoziale Prozessbegleitung voraus, dass sich die Begleitperson jeglicher rechtlichen Beratung der verletzten Person enthält.
  • der Ermittlungsbehörden und der Opferberatung durch die Polizei und dem Sozialen Dienst der Justiz sowie der freien Opferhilfeeinrichtungen und -verbände.
    Die psychosoziale Prozessbegleiterin oder der psychosoziale Prozessbegleiter darf keinerlei Aufklärung des der Tat zu Grunde liegenden Sachverhalts betreiben. Insbesondere hat er die Zeugenaussage der verletzten Person nicht zu beeinflussen. Demzufolge werden keine Gespräche über den im Strafverfahren behandelnden Sachverhalt geführt.
  • der (Psycho)Therapie.

Die psychosoziale Prozessbegleiterin oder der psychosoziale Prozessbegleiter hat ausdrücklich das Recht, bei Vernehmungen des Verletzten und während der Hauptverhandlung gemeinsam mit dem Verletzten anwesend zu sein (§ 406g Abs. 1 Satz 2 StPO).

Psychosoziale Prozessbegleitung kann in jedem Stadium des Strafverfahrens in Anspruch genommen werden. In besonderen Fällen besteht ein Anspruch auf Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleiterin oder eines psychosozialen Prozessbegleiters. Die Kosten für die psychosoziale Prozessbegleitung trägt die Staatskasse, allerdings nur im Fall einer Beiordnung.

Besteht über die psychosoziale Prozessbegleitung hinaus weiterer Beratungsbedarf, wird auf die konkreten Angebote zum Opferschutz unter www.opferhilfe.sachsen-anhalt.de verwiesen.

Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung

Die psychosoziale Prozessbegleitung richtet sich an besonders schutzbedürftige Zeuginnen und Zeugen, beispielsweise

  • Kinder und Jugendliche,
  • Personen mit einer Behinderung oder einer psychischen Beeinträchtigung,
  • Betroffene von Sexualstraftaten und
  • Betroffene mit besonders schweren Tatfolgen.

Die psychosoziale Prozessbegleitung unterstützt auch die Angehörigen und Bezugspersonen der Betroffenen, sofern diese besonders schutzbedürftig sind.

Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung

Sind die Voraussetzungen für eine Beiordnung erfüllt, kann ein formloser Antrag auf Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleiterin oder eines psychosozialen Prozessbegleiters beim zuständigen Gericht gestellt werden. Welches Gericht zuständig ist, bestimmt sich nach dem Stand des Strafverfahrens (§ 406g Abs. 3 Satz 5 i.V.m. § 162 StPO):

  • Im Ermittlungsverfahren, also vor Erhebung der öffentlichen Klage, entscheidet das Amtsgericht am Sitz der zuständigen Staatsanwaltschaft. In den meisten Fällen wird sich die Zuständigkeit dabei nach dem Tatort bestimmen.
  • Im Hauptverfahren entscheidet das jeweils mit der Sache befasste Gericht.

Durch das Gericht erfolgt die Auswahl der beizuordnenden Person. Dabei besteht aber auch die Möglichkeit, eine psychosoziale Prozessbegleiterin oder einen psychosozialen Prozessbegleiter der Wahl vorzuschlagen.

Unterstützung bei der Suche nach einer psychosozialen Prozessbegleiterin oder eines psychosozialen Prozessbegleiters in Sachsen-Anhalt können die Opferberatung des Sozialen Dienstes der Justiz, die Opferhilfeeinrichtungen und -verbände, die Polizeidienststellen, die Staatsanwaltschaft und das Gericht bieten. In einem elektronischen Verzeichnis, welches fortlaufend aktualisiert wird, sind die Begleitpersonen namentlich benannt. Dieses Verzeichnis enthält auch Informationen zur örtlichen Zuständigkeit und dem sachlichen Tätigkeitsschwerpunkten der anerkannten psychosozialen Prozessbegleiterin oder des psychosozialen Prozessbegleiters.

Örtliche und sachliche Zuständigkeit

Örtliche Zuständigkeit

Im Interesse einer effektiven Opferbegleitung sind die psychosozialen Prozessbegleiterinnen und psychosozialen Prozessbegleiter mit den sonstigen örtlichen Hilfsangeboten für Opfer vernetzt. In der Regel werden die psychosozialen Prozessbegleiterinnen und psychosozialen Prozessbegleiter daher an bestimmten örtlichen Tätigkeitsschwerpunkten tätig werden. Die örtlichen Tätigkeitsschwerpunkte erstrecken sich gegenwärtig in der Regel auf bis zu zwei Landgerichtsbezirken.

Damit wird gewährleistet, dass im Fall einer Beiordnung eines nicht durch das Opfer selbst benannten Begleiters in der Regel eine ortsnahe Auswahl erfolgen kann, wenn nicht andere sachliche Gründe, beispielsweise spezielle Bedürfnisse des Opfers, die von einer ortsnahe Begleiterin oder einem ortsnahen Begleiter nicht bedient werden können, vorliegen.

Sachliche Zuständigkeit

Die Angabe eines sachlichen Tätigkeitsschwerpunktes zur Aufnahme in das elektronische Verzeichnis ermöglicht den anerkannten psychosozialen Prozessbegleiterinnen und psychosozialen Prozessbegleitern zudem, ihre Tätigkeit grundsätzlich auf bestimmte Opfer (beispielsweise Differenzierung nach Geschlecht und Alter) und/oder Deliktgruppen (beispielsweise Opfer von Sexualdelikten) auszurichten, ohne dass damit eine automatische Beschränkung der Tätigkeit auf diese Gruppen einhergeht.

Voraussetzungen und Anforderung

Für die Anerkennung als psychosoziale Prozessbegleiterin oder psychosozialer Prozessbegleiter ist der Abschluss einer spezialisierten Aus- oder Weiterbildung zur psychosozialen Prozessbegleitung eine unabdingbare Voraussetzung. Angerechnet werden können dabei nur solche Aus- und Weiterbildungskurse, die zuvor vom Land Sachsen-Anhalt anerkannt worden sind.

Zuständig für die Anerkennung der Aus- und Weiterbildungskurse wird das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt sein. Die Voraussetzungen für die Anerkennung werden in § 2 AGPsychPbG LSA genannt. Die aufgestellten Voraussetzung orientieren sich dabei eng an den von der Arbeitsgruppe im Strafrechtsausschuss „Psychosoziale Prozessbegleitung“ aufgestellten Mindeststandards Weiterbildung sowie an den Standards der bereits verfügbaren Weiterbildungsangebote.

Die Mindeststandards Weiterbildung können damit als Leitlinie für die Konzeption von Aus- und Weiterbildungskursen dienen. Darüber hinaus soll in § 9 Abs. 2 AGPsychPbG LSA aber auch die länderübergreifende Anerkennung von Aus- und Weiterbildungen festgeschrieben werden. Ein Weiterbildungskurs, der in einem anderen Bundesland anerkannt worden ist, soll damit auch in Sachsen-Anhalt anerkannt werden.

Bekannte Kurse außerhalb von Sachsen-Anhalt, die voraussichtlich anerkennungsfähig sein werden, sind unter anderem:

  • Zertifikatskurs „Professionelle Opferhilfe: Opferberatung und psychosoziale Prozessbegleitung“ an der Alis-Salomon-Hochschule Berlin
  • wissenschaftliche Weiterbildung „Psychosoziale Prozessbegleitung“ an der Hochschule Koblenz
  • interdisziplinäre berufsbegleitende Weiterbildung „Psychosoziale Prozessbegleitung“ des Instituts für Opferschutz im Strafverfahren e.V. - RECHT WÜRDE HELFEN“
  • zertifizierte Weiterbildung „Psychosoziale Prozessbegleitung“ der Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen (HföV)

Vor dem Tätigwerden als psychosoziale Prozessbegleiterin oder psychosozialer Prozessbegleiter ist die Durchführung eines Anerkennungsverfahrens notwendig, indem das Vorliegen der erforderlichen (fachlichen) Qualifikationen nachgewiesen werden muss. Im Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG) werden in § 3 des genannten Gesetzes die Grundanforderungen an die fachliche, persönliche und interdisziplinäre Qualifikation festgelegt.

Für die fachliche Qualifikation ist demnach Voraussetzung, dass die anzuerkennende Person über

  1. einen Hochschulabschluss im Bereich der Sozialpädagogik, soziale Arbeit, Pädagogik, Psychologie oder eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem dieser Bereiche,
  2. den Abschluss einer vom Land anerkannten Aus- und Weiterbildung zum psychosozialen Prozessbegleiter und
  3. eine mindestens zweijährige praktische Berufserfahrung in einem der genannten Bereiche vorweisen kann.

Entsprechend § 3 Abs. 3 PsychPbG stellt der Antragsteller in eigener Verantwortung sicher, dass er über die notwendige persönliche Qualifikation verfügt. Dazu gehören insbesondere Beratungskompetenz, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Belastbarkeit sowie organisatorische Kompetenz. Ebenso wird vorausgesetzt, dass die künftige psychosoziale Prozessbegleiterin oder psychosozialer Prozessbegleiter Kenntnisse der regionalen Opferhilfestruktur aufweisen können.

Das persönliche Anerkennungsverfahren wird nach § 4 PsychPbG von den Bundesländern durchgeführt. Sie entscheiden darüber hinaus auch über weitere Anforderungen an die Berufsausbildung, praktische Berufserfahrung, spezialisierte Weiterbildung und regelmäßige Fortbildungen.

Die zuständige Stelle für die Anerkennung ist das zuständige Fachreferat für den Sozialen Dienst der Justiz in dem Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt.

Der Antrag auf Anerkennung auf psychosoziale Prozessbegleiterin oder psychosozialer Prozessbegleiter ist schriftlich an das

Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz
des Landes Sachsen-Anhalt
Referat Sozialer Dienst der Justiz
Domplatz 2-4
39104 Magdeburg

oder per E-Mail an die Adresse poststelle(at)mj.sachsen-anhalt.de zu richten.

Das Antragsformular sowie erforderliche Erklärungen finden Sie über diesen Link.

Die Anerkennung als psychosoziale Prozessbegleiterin oder psychosozialer Prozessbegleiter soll auf höchstens fünf Jahre befristet werden. Nach Ablauf dieser Frist muss jeweils ein erneuter Antrag auf weitere Anerkennung gestellt werden. Hierzu muss keine erneute Weiterbildung absolviert werden. Jedoch wird geprüft, ob die psychosozialen Prozessbegleiterinnen und psychosozialen Prozessbegleiter in den vorangegangenen fünf Jahren ihrer Pflicht zur regelmäßigen Teilnahme an Maßnahmen der Fortbildung nachgekommen sind.

Auch nach Anerkennung sollen die psychosozialen Prozessbegleiterinnen und psychosozialen Prozessbegleiter besonderen Pflichten unterliegen. Ein Verstoß gegen diese Pflichten kann den Widerruf der Anerkennung nach sich ziehen. Die psychosoziale Prozessbegleiterin oder der psychosoziale Prozessbegleiter hat Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten oder sonst im Rahmen der Tätigkeit bekannt gewordenen Umstände, die nicht allgemein zugänglich sind, zu bewahren. Da ihnen aber kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, bleiben sie zur Aussage gegenüber den Behörden, insbesondere vor Gericht, verpflichtet. Eine weitere Pflicht besteht darin, dass die psychosoziale Prozessbegleiterin oder der psychosoziale Prozessbegleiter mindestens alle zwei Jahre an einer fachspezifischen, der Aus- und Fortbildung dienenden Veranstaltung hörend oder dozierend teilzunehmen hat. Weitere Einzelheiten können dazu mit dem In-Kraft-Treten des AGPsychPbG LSA entnommen werden.

Flyer "Psychosoziale Prozessbegleitung"